Charlotte Martinz-Turek (1970-2009)
Charlotte Martinz-Turek hat sich in ihrem Leben vielen schwierigen Aufgaben mit Mut, Konsequenz und manchmal auch mit Ironie gestellt. Wir stehen nun vor der traurigsten Mitteilung: Charlotte Martinz-Turek ist am 12. Mai 2009 an den Folgen einer schweren Kopfverletzung gestorben.
Kuratorin, Historikerin, Vermittlerin, Museologin, Rebellin - Erinnerungen an Charlotte
Als Freundin, Kollegin und Mitstreiterin hat Charlotte für uns eine unverzichtbare Rolle gespielt. Sie stellte sich der Welt, sich selbst und ihren Aufgaben mutig, trotzig, klug, neugierig, eigenwillig, widerständig, humorvoll, leidenschaftlich und mit viel Charme. Erwartungen und Sachzwängen Inhalte voranzustellen war etwas, worauf Charlotte immer bestand. Unbestechlich in ihrer Reflexivität in Theorie und Praxis meisterte sie zahlreiche Herausforderungen und setzte neue Ideen in einer Vielzahl von Arbeitsfeldern in die Welt.
Als Historikerin waren ihre Schwerpunkte Frühe Neuzeit und Zeitgeschichte. Als Lektorin unterrichtete sie am Institut für Geschichte der Universität Wien, an der Universität für angewandte Kunst Wien, an der Fachhochschule für Wissensmanagement Wien und an der Wiener Kunstschule. Mit Forschungsgeist arbeitete sie daran, die Positionen anderer, aber auch eigene Positionen zu hinterfragen. Die Arbeit mit den Studierenden war ihr ein Anliegen, das sie mit Freude, Genauigkeit und Ideenreichtum verfolgte. Seit 2006 Mitglied im Leitungsteam des ecm, prägen ihr inhaltliches Wissen und ihre Erfahrungen in der Lehre das Profil des postgradualen MAS-Lehrgangs. Ihre Kollegialität und ihre Eigenschaft, eine verlässliche Teamplayerin zu sein, werden wir schmerzlich vermissen.
Die Bandbreite kuratorischer Ansätze von kulturhistorischen Ausstellungen über Technikgeschichte bis hin zu zeitgenössischer Kunst zu vereinen, gelang Charlotte mit Leichtigkeit. Ihr gefiel der Gedanke, Räume für unerwartete Begegnungen zu öffnen. Davon erzählen ihre Projekte, beginnend bei ihrer Arbeit als kuratorische Assistenz an der Kunsthalle Wien 2000–2002 und dem kollektiven Projekt denk-mal weiblich – Eine plein-air Ausstellung über versteinerte Geschlechterverhältnisse. Im wissenschaftlichen und kuratorischen Team der Ausstellung Phonorama. Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium konnte sie ihre wissenschaftliche Arbeit mit der Leidenschaft am Aufstöbern ungewöhnlicher und alltäglicher Dinge verbinden. Ihr Interesse an der sozialen Konstruktion von Technik führte sie ins Technische Museum zur kuratorischen und wissenschaftlichen Mitarbeit an der Ausstellung Airworld – Vom Reisen in der Luft. Zuletzt co-kuratierte sie die Ausstellung Have The Cake And Eat It, Too. Institutionskritik als instituierende Praxis in der Kunsthalle Exnergasse Wien und ließ ihr Bekenntnis zu Analyse und Kritik räumlich werden.
schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis wäre ohne Charlotte nie in dieser Form entstanden. Dass sie nicht mehr da ist, hinterlässt eine klaffende Lücke und fundamentale Erschütterung. Im Kreis von schnittpunkt war sie manchmal still, manchmal eine eigensinnige und stolze Rebellin, die uns im nächsten Moment mit ihrer unvergesslichen Stimme dazu brachte, Tatsachen zu akzeptieren – doch nicht um zu resignieren, sondern um mit dem charmant-trockenen Ausspruch "Let’s face it" schwierige Situationen produktiv zu wenden. Charlottes Interventionen waren nachhaltig und provokant und forderten unsere Offenheit heraus: Sie war flüchtig, rasant und doch überall präsent. Als Museologin vermochte Charlotte vor allem das Thema "Storyline" in vielen verschiedenen Kontexten und zahlreichen Workshops über die Jahre hinweg so zu diskutieren, dass Ausstellungen zu spannenden und relevanten Geschichten wurden, die etwas bewegen konnten. Sie verstand es, museale Sammlungen, deren Bedeutungsaufladungen und Geschichtskonstruktionen zu knacken, zu entwirren und ihre Beobachtungen produktiv zu vermitteln. Charlotte war fieberhaft in ihren Vorbereitungen für Lehre und Projektarbeit, eine gewissenhafte Vortragende und Workshop-Leiterin, die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen ernst nahm. Dabei war sie kritisch und selbstkritisch zugleich –oft mit einem Lächeln im Gesicht. Charlotte war darüber hinaus Motor unserer Publikationsreihe, versammelte und schrieb Texte, die wohl auch in Zukunft Anlass zu Debatten im Bereich der Ausstellungstheorie geben werden. Im letzten Jahr erschienen zwei Bände der Reihe schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis, die ihre theoretische Handschrift tragen.
Die Interdisziplinarität, die Charlotte so wichtig war, spiegelte sich auch bei trafo.K in der Vielschichtigkeit unterschiedlicher Zugangsweisen. Es war einfach so schön, gemeinsam Ideen zu generieren. Charlotte forderte Zeit für Konzentration und konnte Räume für andere offenhalten. Fragen voranzutreiben, ohne Prozesse zu verhindern, und mutig auch politische Forderungen in den öffentlichen Raum zu tragen waren Ansprüche, die sie an der Schnittstelle zwischen Bildung und Wissensproduktion stellte. Auch in der Vermittlung Wissenschafterin bleibend, bestand sie darauf, dass alle Menschen Wissen haben. Mit Schnelligkeit und Pragmatismus gelang es ihr manchmal, Unmögliches zu verwirklichen, während Alltäglichkeiten oft vollkommen unwichtig schienen. Eine Erinnerung bleibt das Klappern der Tastatur, wenn sie schrieb, exzerpierte oder in Windeseile korrespondierte. Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Menschen war ihr wichtig und sie diskutierte leidenschaftlich mit uns ebenso wie mit Studierenden, Lehrlingen, SchülerInnen und Kindern. Mit Eigensinn und Verhandlungsgeschick war sie eine Vorreiterin im Zurückweisen inakzeptabler Bedingungen in prekären Arbeitsverhältnissen. Gleichzeitig machte sie in harten Arbeitsphasen Lust auf Leichtigkeit. Was wir von Charlotte gelernt haben, wird uns für immer bleiben. trafo.K ist, was es ist, durch und mit Charlotte geworden – so ist sie maßgeblich auch für alles, was wir in Zukunft tun werden.
Wir werden versuchen, ihre Prinzipien und Ideale weiterzutragen.
Sehr traurig,
Martina Griesser-Stermscheg, Christine Haupt-Stummer,
Renate Höllwart, Beatrice Jaschke, Elke Smodics,
Monika Sommer, Nora Sternfeld, Luisa Ziaja
trafo.K und schnittpunkt
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Es gibt so viele Erinnerungen an diese schillernde, vielseitige, kluge Frau. Unsere, die wir hier festzuhalten versucht haben, sind nicht die einzigen.